…and in walked the Hindoos

Über das indische Trainingssystem Vyayam

Von Jan Markus Adams

Gewidmet Zeynep. Ohne dich wäre ich nicht, wo ich heute bin. Danke!

“Well, you might be right, boy, but first let me tell you a story. Some time ago the then British Heavyweight Champion Wrestler, Tom Cannon and two other wrestlers, all big men, with much the same crazy ideas as you have, went along to a Garden Party given by the Maharajah of Patiala. It had been advertised that the Maharajah would give ten thousand pounds and a load of jewels to anyone in the world who could stand up for three minutes to any of his great Indian heavyweights. Tom and his buddies figured on collecting some easy dough. They took off their Navy uniforms and put on ordinary clothes. Then they went along to the Maharajah’s party ready to collect. Just like you, they guessed these guys were big muscled-bound bums who were ripe for a push-over. Then in walked the Hindoos. All stood over six-feet five and weighed 280 or more pounds. Their chests were like barrels. Their arms and legs like trunks of trees. Tom and his friends could not believe their eyes and right away they decided the Maharajah’s dough and his jewels were not for them. They made a fast get-away. […]” (aus: Oakley, Sir Atholl: Blue Blood On The Mat. The All-In Wrestling Story.)

Zehn Jahre ist es her, seit ich Sir Atholl Oakleys Buch „Blue Blood On The Mat“ gelesen habe, dem obiges Zitat entnommen ist. Von da an war ich faziniert von der Vorstellung wie solche Kämpfer wohl trainiert haben. Zumal Indien bis dahin kein Land war, das ich mit Schwerathletik in Verbindung gebracht hätte. Leider geht Oakley nicht darauf ein, wie die indischen Ringer ihre körperlichen Fähigkeiten zu erlangen pflegten. Ich vermutete lediglich, dass sie nicht ausschließlich Ringen trainierten, sondern ein zusätzliches Training absolviert haben müssen.

Zwei Jahre später hatte ich das Glück, den Bildband ‚Fight‘ von Stephen Dupont kaufen zu können. Hierin ist eine Bilderserie enthalten über die Ringer in der Akhara (dt. Ringkampfstätte, Treffpunkt) des damals 91 Jahre alten Guru Hanuman. Im Begleittext heißt es, man sähe sie im kalten Dezemberwind nur mit Lendenschurz bekleidet mehrere hundert Liegestütze ausführen. Das war immerhin eine kleine Information; die abgebildeten Ringer sahen jedoch nicht sonderlich beeindruckend aus. Daher dachte ich, dass die Ringerkultur wohl im Niedergang begriffen sei.

Also begnügte ich mich damit Grappling zu trainieren und mein eigenes Kraft- und Ausdauertraining zu gestalten. Bis ich vor sechs Jahren auf Jamie Lewis‘ Blog chaosandpain stieß. Akribisch arbeitete ich mich durch alle von ihm geschriebenen Artikel und erhielt neben Kurzweil und Unterhaltung hervorragende Informationen über Training und Ernährung. Insbesondere Jamies‘ fünfteilige Artikelserie ‚It’s time to stop mocking Indians for their clubbells‘ stellt bis heute noch eine bedeutende Inspirationsquelle für mich dar. Er lieferte mir erstmals brauchbares Material über Training und Leben der indischen Ringer. Besonders faszinierend war die Tatsache, dass diese angeblich vorwiegend mit Eigengewichtsübungen trainierten und sich hier lediglich zweier Übungen bedienten: Bethaks (Hindu Squats, indische Ringerkniebeugen) und Dands (Hindu Pushups, indische Ringerliegestützen). Die führen sie dafür jedoch exzessiv aus.

Bis dahin hatte ich gerne Eigengewichtsübungen in meinem Training verwendet und war damals schon der Meinung, dass sie für die Konditionierung von Vollkontaktkämpfern von größtem Wert sind. Für Kraft- und Masseaufbau erachtete ich sie jedoch als uninteressant. Stattdessen stemmte ich zusätzlich schwere Gewichte. Entsprechend skeptisch war ich bezüglich der in dem Artikel aufgestellten Behauptungen, da sie allem widersprachen, was ich bis dahin als gut und richtig erkannt hatte.

Doch Bilder alter Ringern wie Ghulam ‚The Great Gama‘ Muhammad, Tiger Daula, Dara Singh oder Karl Gotch zu sehen und im Hinterkopf zu haben, dass sie täglich mehrere tausend Bethaks und Dands absolviert hatten,um ihre Körper aufzubauen, ließ mir keine Ruhe.

“The steel [of the machines and tools which bodybuilders use] depersonalizes. . . . Its homogeneity drives out the principles of individuality in the bodies that devote themselves to it. It does away with eccentricities—the dry and irritable skin, the concave faint-hearted chest, the indolent stomach. . . . On his/her contours, the bodybuilder watches emerging not the eccentricities his tastes and vices leave in his carnal substance, but the lines of force of the generic human animal.” (Lingis)

Das Experiment

“The Indian system of training… has results beyond the development of great strength; it creates most remarkable powers of endurance while at the same time increasing agility. Gama, Imam Bux, Ahmed Bux – all when in action, impressed by the cat-like activity of their movements, the feline readiness with which their muscles responded to the demands of the moment, which is one of the attributes that make for the winning of falls.” (Percy Longhurst)

Es gab allerdings zwei Hindernisse, die mich davon abhielten Bethaks und Dands auszuprobieren. Von den Dands hielt mich ein gerissener Brustmuskel ab und von den Bethaks ein kaputter Innenmeniskus, der eine Beugung meines Knies über 90° verhinderte.

Dann  allerdings bat mich eine gute Freundin sie für einen sportlichen Eignungstest zu trainieren. Das tat ich natürlich gerne! Ich bat sie jedoch um ihr Einverständnis sie als Versuchsperson für die Bethaks und Dands nutzen zu dürfen. Sie willigte ein und bestand den Eignungstest nach vier Wochen Training, trotz starken Nikotinkonsums, als beste Teilnehmerin. Die Kombination aus normalem Krafttraining und den indischen Übungen hatte sich also ausgezahlt.

Darüber hinaus war ich neugierig geworden es doch mal selbst auszuprobieren. Ich dachte mir, der Innenmeniskus ist ohnehin schon kaputt, also habe ich nichts zu verlieren, dafür aber viel zu gewinnen. Also tastete ich mich, im wahrsten Sinne des Wortes, langsam vorwärts beziehungsweise herunter. Ich ging nur soweit in die Beugung, wie mein Knie schmerzfrei mitspielte und vergrößerte den Bewegungsradius nach Möglichkeit. Dies funktionierte so gut, dass ich nach kurzer Zeit eine morgendliche Trainingseinheit einführte, in der ich 500 partielle Bethaks absolvierte. Im Laufe der Monate wurde mein lädiertes Knie so gestärkt, dass ich wieder problemlos in die tiefe Hocke gehen konnte und im Alltag beschwerdefrei war.

An die Dands tastete ich mich langsamer heran, da mein System Schultergelenk durch den gerissenen Brustmuskel sehr empfindlich geworden war. Eine kleine Überlastung, im Bereich von fünf Liegestützen, führte schon zu einer überreizten und kurz darauf entzündeten Bizepssehne. Schließlich fand ich eine Ausführungsvariante der Dands, die mir kaum Probleme bereitete und eine langsame Steigerung erlaubte. Interessanterweise war gerade diese Ausführung die klassisch vorgesehene, wie ich feststellte, die gerade wegen ihrer positiven Wirkung auf das System Schultergelenk praktiziert werden sollte.

Durch ein wenig Experimentieren war es mir gelungen einen Weg zu finden mich mit diesem jahrhundertealten Trainingssystem auseinanderzusetzen. Leider ist die Literatur darüber dünn gesät. Abgesehen von einigen Artikeln dienten mir Joseph S. Alters Buch „The Wrestler‘s Body“ und Muzumdars „Encyclopedia Of Indian Physcial Culutre“ als Grundlagenwerke um, neben meinen persönlichen Erfahrungen, auch theoretische Grundlagen zur Überprüfung zu haben.

So, wie bei einer Reise ein Reiseführer schöne und versteckte Orte zu zeigen vermag, verhalfen mir diese Werke Sachverhalte zu erkennen und wertzuschätzen, die ich ansonsten womöglich übersehen hätte. Darüberhinaus wurden mir im Laufe der Zeit gewisse Beobachtungen, die ich beim Training machte, bestätigt.

“But the strength is in Gama also. One can see it in the fine proportions of his figure, the enormously deep chest, the strong loins, the huge thighs, and the powerful rounded arms… ‘The strength of an ox and the quickness of a cat’ were the words in which one spectator summed up Gama.” (Percy Longhurst)

Bethaks- Stand your ground

„The afternoon was given up to deep knee bending. Nude but for a loin cloth, out of doors in the warm September sunshine, Gama began his up-and-down motion. Methodically, rhythmically, his open hands on the top of a post standing about 4 foot out of the ground, Gama went on with his knee bending. There was nothing hurried about it; he started as though he meant keeping on forever; and after watching him for a long while, that, so I concluded, was his intention. I timed him by the watch for twenty minutes, and still he continued. The perspiration was streaming down him, but there was never a sign of wavering or slacking off. For how long he actually did continue I do not recall.” (Percy Longhurst)

Bethaks (dt. Kniebeugen) sind die indische Variante von Kniebeugen. Sie werden zirkulär und rhythmisch ausgeführt und verhelfen zu einer tieferen Atmung und besseren Sauerstoffverteilung.

Dazu wird bei der Beugung der Knie ausgeatmet und bei der Streckung eingeatmet. Die Arme vollführen eine Ruderbewegung. Bei der Abwärtsbewegung werden die Arme nach unten geführt, der Brustkorb also komprimiert. Die Aufwärtsbewegung wird mit einem Zurückziehen der Arme begleitet, wodurch Schlüsselbeine und Brustkorb gedehnt werden. Die Lunge kann man dabei mit einer Ziehharmonika vergleichen: bei Stauchung wird die Luft herausgepresst und bei Streckung eingesogen.

Es wird empfohlen stets durch die Nase zu atmen. Dadurch trocknet der Mund nicht aus; das Bedürfnis zu trinken wird also reduziert. Außerdem ist es möglich ruhiger und tiefer zu atmen. Dieser Effekt kann noch verbessert werden, wenn man einen Aspekt der aus dem Yoga stammenden Ujjayi-Atmung einsetzt. Man verengt dabei die Stimmritze und spürt die Atemluft nicht in der Nase, sondern in der Kehle, was einen kühlenden Effekt mit sich bringt und eine tiefe Atmung bei verstopfter Nase ermöglicht. In ihrem Buch „Physio Flow Yoga“ gibt Alexandra Hägler einen guten Hinweis, wie sich diese Atmung leicht erlernen lässt. Sie sagt, beim Ausatmen klingt es, wie ein Kind, das seinen Unmut darüber äußert das Zimmer aufräumen zu müssen. Es ist ein heftiges, kehliges Ausatmen.

Abgesehen von der Atmung haben Bethaks ein weiteres Unterscheidungsmerkmal von herkömmlichen Kniebeugen. Dieses besteht darin, die Fersen anzuheben, wenn man in die Hocke geht. Dadurch werden die Kniegelenke stabilisiert  und die Wadenmuskulatur wird bei gebeugten Oberschenkeln besser trainiert. Richtet man sich anschließend wieder auf, kippt man auf die Fersen und hebt die Fußballen an. Dies trainiert den Schienbeinmuskel, die Fußgelenke und das Fußgewölbe und ermöglicht eine stärkere Kontraktion des Quadrizeps. Zudem werden durch den Bewegungsablauf des Beugens und Streckens der Beine bei gleichzeitigem Auf- und Abwippen der Füße Gleichgewichtssinn, Konzentrationsfähigkeit und Koordinationsvermögen geschult.

Neben den bereits genannten positiven Effekten kommt hinzu, dass durch die anhaltende Stauchung und Streckung des Bauches die Tätigkeit der Verdauungsorgane angeregt und die Leber in ihrer entgiftenden Arbeit unterstützt werden. Durch Beugen und Strecken der Beine, Heben und Senken der Arme wird der Blutkreislauf verstärkt und der Blutfluss gefördert, so werden Sauerstoff und Nährstoffe besser im Körper verteilt und dadurch Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden gesteigert.

Um sämtliche positiven Aspekte zu nutzen ist es hilfreich täglich möglichst viele Bethaks zu absolvieren. Bei den indischen Ringern gilt man dann als besonders stark wenn man täglich 3000 Bethaks ausführt. Falls man die dazu nötige Zeit nicht zur Verfügung hat, sind jedoch auch weniger bereits eine Wohltat für Körper und Geist.

„One could understand how Gama had acquired the enormous bulk of solid flesh at the back of his upper arms; whence came the wonderful size of the muscles around the shoulders and the base of the neck. Smooth, solid muscle; muscle in bulk; yet again I must repeat that when Gama ‘set’, for example, his arm, his fist clenched, that acute outlining of the individual muscles on which the enthusiastic physical culturist is wont to pride himself, the ‘steel bands’ and ‘hard knots’ beloved of the lady fiction writer, were conspicuous by their absence. All one saw was a rounded swelling, a smooth prominence here and there. […] But there was strength, an abundance of it, in those smooth and supple limbs. Anyone who saw Gama overcome Dr. B.F. Roller could be sure of that. […]” (Percy Longhurst)

Dands- Die Königin der Übungen

“The morning he [Gama] spent in going through a few hundred repetitions of the ‘dip’ [Dands]. To watch him doing the dipping exercise was a revelation. There was power put into every movement, up and down… It was easy to understand, watching the regular rise and fall of the smooth brown body, the bending and straightening of the rounded limbs, to what extent not only the arms and the shoulders, but the muscles of the chest, abdomen, back and loins participated in the vigorous execution.” (Percy Longhurst)

Den Yogis sind Dands (dt. Oberarme) meist aus dem Sonnengruß (Surya Namsakar) bekannt. Sie sind eine Kombination aus den Asanas (Yogahaltungen) Herabschauender Hund (Adho Mukha Svavanasana), Tiefer Liegestütz (Chaturanga Dandasana) und Hinaufschauender Hund (Urdhva Mukha Svanasana).

 

 

 

 

Diese werden in der genannten Reihenfolge möglichst häufig hintereinander und zirkulär, ausgeführt. Die Bewegungsabfolge vertieft die Atmung. Dazu wird in der Ausgangsposition (Herabschauender Hund) ausgeatmet bis der Bauch eingezogen ist. Mit dem Einatmen wird die Bewegung eingeleitet, es geht hinab in den Tiefen Liegestütz und dann hoch in den Hinaufschauenden Hund. In dieser Position ist der Brustkorb gedehnt, was eine tiefe Einatmung erleichtert. Das tiefe Einatmen wiederum erleichtert die Dehnung des Brustkorbs. Man steigert gleichzeitig Sauerstoffaufnahmefähigkeit und Sauerstoffaufnahme durch eine Vergrößerung des Brustvolumens. Im Hinaufschauenden Hund atmet man aus, zieht das Becken zurück und geht  in den Hinabschauenden Hund.

Man könnte sagen, durch das Einatmen zieht man sich nach vorne und durch das Ausatmen drückt man sich zurück. Die Atmung erfolgt, wie bei den Bethaks, durch die Nase und nach Möglichkeit mit Verengung der Stimmritze (Ujjayi-Atmung).

Neben den Vorteilen für Herz und Lunge, werden, durch Stauchung und Streckung, sowie Einziehen der Bauchdecke, die inneren Organe in ihrer Tätigkeit gefördert. Darm und Leber werden angeregt, ebenso wie zahlreiche Drüsen und das Immunsystem.

Dands fördern außerdem Koordinationsvermögen, Beweglichkeit, Agilität, Konzentrationsfähigkeit und trainieren nahezu alle Skelettmuskeln, beginnend mit dem Fußgewölbe, über Waden, Quadrizeps, Beinbizeps, Gesäßmuskel, Rückenstrecker, Bauchmuskeln, Brustmuskeln, Latissimus, Trapezius, Sternocleidomastodeus (Halsmuskel), Hände, Unterarme bis hin zum Namensgeber der Dands, dem Trizeps. Lediglich der Bizeps wird nicht trainiert, dafür aber zumindest ein wenig gedehnt. Dands stellen im wahrsten Sinne des Wortes eine Ganzkörperübung dar, von der ein starker indischer Ringer täglich 1500 absolviert.

Laut dem Großen Gama reichen jedoch auch weniger Wiederholungen. Auf die Frage eines kleinen Jungen, was dieser machen müsse um stark zu werden, soll Gama gesagt haben täglich elf Bethaks, elf Dands, eine handvoll Kichererbsen und ein Gebet.

“Doing dands makes a person’s character and personality shine. The body takes on a powerful radiance. Not only this, but the person who does dands lives a fuller and more meaningful life. His personality is more attractive. He is liked by everyone. His whole attitude towards life is changed.” (Atreya)

Vyayam

“Dands and bethaks make the muscles of the body so incredibly strong that the wrestler appears divine. Dands and bethaks are the mirror in which the aura of wrestling is reflected. They are the two flowers which are offered to the “wrestling goddess.” Dands and bethaks are the two sacrifices made to the goddess of wrestling. If she is pleased she will bestow great strength and turn mere men into wrestlers.” (Atreya)

Das Trainingssystem, dem Bethaks und Dands, sowie der Sonnengruß (Surya Namaskar) angehören nennt sich Vyayam. Es ist aufgrund der Übungen und der Bedeutung des richtigen Atmens dem Yoga ähnlich, unterscheidet sich jedoch in der Intention. Yoga lässt sich, recht frei übersetzt, mit ‘Joch’ wiedergeben und bedeutet, dass Körper und Geist unter wechselseitige Kontrolle gebracht werden sollen. Vyayam bedeutet soviel wie ‘körperliche Übung’ oder ‘Disziplin’ und hat das Ziel einen starken Körper zu erschaffen.

Es gibt die Theorie, dass dieses Trainingssystem durch den Indienfeldzug Alexanders des Großen etwa 325 v. Chr. von Griechenland nach Indien gelangt sei. Die Griechen hatten damals bereits eine lebendige Körperkultur mit dem Ziel Geist und Körper zu kräftigen. Der, heute wieder moderne, Begriff Calisthenics stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie „schön und stark“ oder „schöne Stärke“. Das Trainingssystem steht mit dem Ideal ‚Kalokagathia‘ (dt.: „schön und gut“) in Verbindung, wo man davon ausgeht, dass ein gesunder Körper und Geist sich wechselseitig bedingen. Aus historischen Quellen ist bezüglich der Übungsausführung lediglich bekannt, dass die Übungen rhythmisch und leicht ausgeführt werden. Womöglich wurde das Training von Flöten- und Trommelmusik begleitet. Durch die Mischung aus Anstrengung, bei Konzentration auf den Atem und das Hören rhythmischer melodischer Klänge kann man in einen Trancezustand gelangen, der es ermöglicht wesentlich mehr Wiederholungen zu absolvieren und dadurch mehr Kraft aufzubauen.

In diesem Sinne ist Vyayam nicht mit modernem westlichen Krafttraining oder modernen Calisthenics zu vergleichen. Es geht beim Vyayam nicht darum bloß die Muskeln zu kräftigen. Stattdessen ist das Ziel den Organismus in seiner Gesamtheit zu stärken, von innen nach außen.

Wenn man die Übungen erlernt, erfolgt die Bewegung zunächst über die Muskeln, daher werden gerade Dands als sehr anstrengend wahrgenommen. Ist man auf seinem Weg jedoch fortgeschritten werden die Bewegungen über die Faszien gesteuert, die Muskeln also nur noch passiv trainiert. Beherrscht man die Faszien als Bewegungssystem, kann man sehr energieeffizient große Leistungen vollbringen. Und eben das ist das Ziel, das in der griechischen Antike von den Anhängern der Körperkultur verfolgt wurde. Ebenso, wie später die indischen Ringer ihr Leben danach ausrichteten zu kämpfen und zu siegen. Um dies zu gewährleisten ist ein fähiges Konditionierungsprogramm unerlässlich.

Wie bereits angesprochen, stellt der mentale Aspekt des Vyayam einen entscheidenden Punkt dar. Augenscheinlich wird der Geist gestärkt durch die Disziplin, die es erfordert täglich hunderte oder tausende Wiederholungen auszuführen. Im Inneren laufen zusätzliche Prozesse ab, da die Komplexität der Übungen unser Gehirn in großem Maße fordert, somit also mehr Synapsen gebildet werden müssen, was die Intelligenz steigert. Darüber hinaus entspricht der mentale Zustand dem, der durch Meditation erreicht wird. Dadurch können Hirnrinde, sowie Brücke zwischen rechter und linker Gehirnhälfte zum Wachstum angeregt werden, mit sämtlichen positiven Effekten wie größerer Gelassenheit, mehr Empathie und was sonst noch mit Meditation einhergeht.

Desweiteren stärkt man durch dieses System die eigene Selbstwirksamkeit, das heißt das Empfinden dafür fähig zu sein etwas zu bewirken. Dadurch wachsen Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Dies stellt einen Unterscheid dar, als ein gewöhnliches Training, das Muskelwachstum bewirken soll. Bei einem muskelvergrößerndem Training wird üblicherweise bis zum Muskelversagen trainiert um möglichst viele Muskelfasern zu aktivieren, diesbezüglich hat Jamie Lewis den schönen Satz geschrieben “Training to failure, is training failure”. Durch eine solche Trainingsmethode gewöhnt man sich daran zu versagen. Das ist so ziemlich das Letzte, was jemand braucht der stark sein will. Will man stark sein, ist ein zuverlässiger Weg, der, bei dem man sich als stark erlerbt. Und dieses Erlerben allmählich steigert. Das wird bewirkt durch die klassische Trainingsmethode beim Vyayam, wonach man immer im Rahmen der eigenen Fähigkeiten trainiert und die Trainingsintensität an die steigenden Fähigkeiten anpasst. So erlerbt man sich als erfolgreich, stark, fähig.

Es wird ersichtlich, das Vyayam unseren Organismus in enormem Maße fordert und dadurch unser Wohlbefinden fördern kann. Dazu ist es jedoch erforderlich ihn nicht zu überfordern. Es gilt, sich langsam an die Übungen heranzutasten und mit ihnen vertraut zu werden. Täglich wenig ist mehr als hin und wieder viel.

Zudem empfiehlt es sich das Training immer zur selben Zeit auszuführen. Nach der Ayurvedalehre soll frühmorgens ein guter Zeitpunkt sein, da die Lungenfunktion sehr gut sein soll. Die Anregung der Verdauungsorgane bringt mit sich, dass die letzte Mahlzeit vor dem Training längere Zeit zurückliegen sollte. Im Anschluß wird ein stärkendes Getränk empfohlen. Für die indischen Ringer ist das warme Milch mit Ghi (geklärte Butter). Wer täglich 3000 Bethaks und 1500 Dands ausführt sollte zwei Liter Milch am Tag trainken und bis zu 500g Ghi zu sich nehmen.

“The performance of thousands of these exercises produces a mental state not unlike that of a person who has gone into a trance through the rote recitation of a mantra or prayer. Thus, dands and bethaks transport the wrestler into an altered state of consciousness from which he derives psychic and spiritual purification. Vyayam is very much like meditation in this respect.” (Alter)

Die Erkenntnis

“I was told that Jharkhande Rai, a champion wrestler who used to be a member of Akhara Ram Singh, would concentrate so hard on doing his dands that his sweat would leave a perfect image of his body as it dripped onto the earth. This and similar stories were told in order to make the point that the wrestler involved was often not even aware of the extent of his exertion. Many times I have sat on the edge of an akhara and watched a wrestler bob up and down for half an hour or more without taking his eyes off an imaginary point on the ground in front of his face. It is not surprising that the beneficial effects of dands transcend the mere physical body and strengthen aspects of moral and ethical character.” (Alter)

Mittlerweile ist es vier Jahre her, seit ich Bethaks und Dands kennengelernt habe. Wir haben eine wunderbare Freundschaft geschlossen! Vor zweieinhalb Jahren habe ich sogar aufgehört mit Gewichten zu trainieren. Und seitdem blicke ich jeden Morgen mit einer Mischung aus Freude und Ehrfurcht auf mein bevorstehendes Training. Freude, weil ich merke, wie gut es mir tut und Ehrfurcht, weil es hart ist.

Wenn ich mein Training starte, ist es, wie in einen Tunnel einzutreten, dessen Ausgang nicht zu sehen ist. Doch ich weiß, er rückt mit jeder Wiederholung und jedem Satz näher. Und nach der letzten Wiederholung fühle ich mich allmorgendlich von Neuem befreit und bereichert, inspiriert und beglückt darüber wie leicht es rückblickend doch war. Es ist ein erhebendes Gefühl, wie es nur entsteht, wenn man einen großen Erfolg zu verzeichnen hat. Muzumdar hat diesen Zustand in der „Encyclopedia of Indian Physcial Culture“ sehr schön formuliert:

“Activity is life, while stagnation is death. Exercise brings healthy activity to every organ, gland and cell of the body; it makes the entire body actively and radiantly alive with a feeling, energy and well being that make one so buoyant and alert that you feel like running and jumping.”

Obwohl die Übungen immer dieselben sind, ist doch jedes Training neu und spannend. Die Kombination aus Bewegung, Atmung, Anstrengung schafft eine Verknüpfung von Körper und Geist, die ich bislang nirgendwo anders erfahren habe. Das ist eine Erfahrung des von Mihalyi Csikszentmihalyi beschriebenen Flow-Zustandes im reinsten Sinne. Gleichzeitig führt sie, in ganz weltlichem Sinne, zu einer enormen körperlichen Leistungsfähigkeit bei einem äußerst geringem Trainingspensum von zwanzig bis dreißig Minuten pro Tag. Vorher habe ich mein Training aufgeteilt in Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und habe bei größerem Trainingsaufwand wesentlich weniger erreicht.

Den positiven Effekt, den ich nun verspüre, führe ich auf die positiven Auswirkungen auf das Organsystem zurück. Dadurch, dass der Körper während des geamten Trainings als Einheit arbeitet, lernt er als Einheit besser zusammenzuarbeiten. Das resultiert in einer Effizienzsteigerung. Meine Muskeln sind kleiner geworden, seit ich nicht mehr mit Gewichten trainiere, an meiner Kraft hat sich jedoch nichts geändert. Dafür ist mein Lungenvolumen größer als zu Zeiten in denen ich noch hochintensives Cardiotraining mit Schnorchel zu machen pflegte.

Nach langem Herumexperimentieren und Überdenken meiner Bedürfnisse, hinsichtlich Beruf und Familie, bin ich zu einer Trainingsgestaltung gekommen die nur einem Zehntel des Trainingspensums entspricht, das für einen starken indischen Ringer normal ist. Doch die Ergebnisse daraus machen mich sehr glücklich.

In dem Maße, wie ich mit meinem Training expermientiere, habe ich auch mit Hintergrundmusik zum Vyayam experimentiert. Es war mir bislang noch nicht möglich Trommler und Flötisten zu engagieren, um wie die alten Griechen trainieren zu können, doch die Mischung aus Rhythmus und Melodie hat sich als sehr wirksam erwiesen. Mein persönlicher Geschmack ist da wohl etwas gewöhnungsbedürftig und wird getroffen von einer Mischung von Metal und Folklore. Dies zaubert eine kontrastreiche Komplexität von Gefühl und Härte, die unweigerlich zu einem Flow-Zustand führt und mein Training stets zu beflügeln vermag. Und wenn die finnische Band Finntroll dann noch auf schwedisch von kämpfenden Trollen singt, erscheint sehr schnell ein Licht am Ende des Tunnels…

“Stanislaus Zbysko, when world`s heavyweight champion in the Greaco-Roman and American Catch-as-Catch-can styles, went to India for a match with the most formidable of all Indian champions, Gama. Zbysko told me, he was paid all expenses to India and back to America. The Maharajah of Patiala received him as his guest at his palace. He trained for two months and entered the ring at twenty-three stone. For a height of five feet five inches such a weight made Zbysko look like an egg. One could understand why no white man ever pinned his shoulders to the mat. Infact, at Lane’s Club years later, when Zbysko was long past his prime, Bob Gregory, myself and four other champions all tried at once to pin him. As fast as we got one shoulder down he rolled over on his face. He was in fact oval! You could not tell whether he was standing up or sitting down. His neck was two feet four around, his thighs three feet, his biceps two feet. This was the man whom Gama beat in ninety seconds. That is the calibre of the Indian wrestler.” (aus: Oakley, Sir Atholl: Blue Blood On The Mat. The All-In Wrestling Story.)

 

Urdhva Mukha Svanasana

 

 

 

3 Comments on “…and in walked the Hindoos

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