Die Brücke zur Kraft

Dank an Kristin Handel für die Genehmigung zur Verwendung der Photographie

Über vegane Ernährung und Training ohne Geräte

Von Jan Markus Adams

Die Idee

In meiner Jugend hatte ich mich vier Jahre lang vegetarisch ernährt und in den nachfolgenden Jahren habe ich dies größtenteils weitergeführt. Vor etwa sechs Jahren hatte ich begonnen mich mit der Idee einer veganen Ernährungsweise auseinanderzusetzen. Inspiriert dazu wurde ich zum einen durch das Buch ‚The China Study‘ von T. Colin Campbell und Thomas M. Campbell. In diesem Werk geht es um die Zusammenhänge einer ‚modernen westlichen‘ Ernährungsweise und diverser Krankheiten, wie Autoimmunerkrankungen, Adipositas, Diabetes, Demenz, Depressionen. Die Autoren stellen die These auf, das tierisches Protein den Treibstoff für die Ausbreitung dieser Erkrankungen in unserem Körper darstellt.

Des Weiteren befasste ich mich damals mit dem amerikanischen Hardcore-Sänger (Youth of Today, Shelter, Better Than A Thousand) und Yogalehrer Raghunath Cappo. Auf ihn aufmerksam geworden bin ich durch ein Interview, indem er davon erzählte bei Eddie Bravo Grappling trainiert und zu dieser Zeit schon nach einer strikt veganen Rohkost Diät gelebt zu haben. Ich habe daraufhin E-Mail-Kontakt zu ihm aufgenommen und wir hatten einen für mich sehr wertvollen Schriftverkehr. Zudem hatte ich seinen Newsletter abonniert, der mir einige interessante vegane Rohkost-Rezepte bescherte.

Die Umsetzung

Bevor ich den Beschluss fasste mich probeweise vegan zu ernähren, hatte ich täglich etwa 150g Protein zu mir genommen, überwiegend durch Milch, Joghurt und Hüttenkäse. Ich wog damals 96kg, trainierte an mindestens drei Abenden pro Woche jeweils zwei Stunden Grappling, absolvierte mindestens dreimal wöchentlich Krafttraining, lief täglich mindestens 6km und legte sämtliche Strecken per Fahrrad zurück. Ich hatte also ein bewegtes Leben.

Den Übergang zur veganen Ernährung wollte ich mir so angenehm wie möglich machen, indem ich besagte 150g Protein aus leicht zugänglichen pflanzlichen Quellen beziehen wollte. Also ersetzte ich die Milch durch Sojamilch und bediente mich nach Herzenslust bei der damals noch recht neuen veganen Produktpalette von Aldi. Mit ausreichend Ketchup und Sojasauce schmeckte das sehr gut und mir fehlte es zunächst an nichts. Die Inhaltsstoffe gruselten mich schließlich doch ein wenig, außerdem hatte mein Verdauungssystem seine liebe Not damit. Ich ging also dazu über mich natürlicher zu ernähren, mehr Mandeln, Nüsse, Datteln für die schnelle Energie für zwischendurch.

Zu dieser Zeit absolvierte ich mein Krafttraining nahezu ausschließlich auf dem Trimm-Platz im Mainzer Lennerbergwald. Meine Beine trainierte ich durch Bergläufe und Sprints und den Oberkörper durch Handakrobatik, Klimmzüge, Klettern. Ich wurde definierter und leichter. Gleichzeitig steigerte ich meine Kraft bei den Oberkörperübungen, was kein Wunder war, hatten die Arme doch weniger Last zu bewegen. Beim Grappling wurde mein Kampfstil agiler und ich hatte mehr Ausdauer. Also, NOCH MEHR Ausdauer!

Nach ungefähr drei Monaten verzichtete ich komplett auf das vegane Fast Food. Grundlage war die Überlegung, dass Soja und Weizen in derart hohen Mengen mindestens so gesundheitsschädlich sind wie zu viele tierische Lebensmittel. Außerdem kam mein Verdauungssystem noch immer nicht damit zurecht. Auch das ist ein Anzeichen für ein qualitativ minderwertiges bis schädliches Lebensmittel. Von da an verzehrte ich nahezu allabendlich ein Pfund Dinkelnudeln plus Beilagen. Einmal bereitete ich mir einen Rohkostsalat zu, dessen Verzehr eine Stunde in Anspruch nahm, da ich so sehr mit Kauen beschäftigt war. Lustigerweise war ich nach einer halben Stunde satt, die Schüssel aber kaum geleert, also aß ich weiter. Als dann nach einer weiteren halben Stunde alles verputzt war, hatte ich schon wieder Hunger.

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Oktober 2011, ein halbes Jahr vegan

Das Scheitern

So gut mir die Ideologie hinter einer Raw Food-Diet gefällt, war sie leider nicht für mich geeignet, da ich keinen Zugang zu Obst und Gemüse finde. Es gibt kurze Phasen, in denen ich Freude daran habe, doch meistens lässt es mich kalt. Daher kam es soweit, dass ich schließlich kaum noch Kalorien zu mir nahm. Mein Frühstück bestand schließlich aus einer frisch gepressten Zitrone, Aloe Vera-Saft und Wasser und dann folgten mehrere Stunden Training, Arbeit, Studium. Ich nahm immer mehr ab. Nach einem halben Jahr hatte ich zehn Kilogramm verloren und war auf 86kg “abgemagert”. Und doch fühlte ich mich auf eine gewise Weise gut. Leicht und vital. Doch das mag mit der Endorphinausschüttung der Unterernährung zusammengehangen haben.

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Von 96kg auf 86kg in sechs Monaten

Da ich für lange Zeit keine Hantel mehr bewegt hatte, war ich nach sechs Monaten veganer Ernährung und Training im Wald neugierig auf meine Leistung beim Kreuzheben. Und siehe da, ich konnte eines meiner ehemaligen Aufwärmgewichte (110kg) kaum noch heben. Mit Tränen in den Augen maß ich meinen Brustumfang, der auf 108 cm geschrumpft war und beschloss mit aus Trotz geborenem neuem Lebensmut wieder Milch zu trinken und Gewichte zu stemmen. Die vegane Ernährung war für mich gescheitert.

Nach kurzer Zeit hatte ich mich wieder auf 95kg hochtrainiert und erfreute mich bester Gesundheit. In den folgenden Jahren dachte ich jedoch oft an diese Zeit zurück. Auch jetzt noch denke ich gerne an den Pioniergeist, der mich angetrieben hat und an das Gefühl von Freiheit, das ich durchweg empfunden habe. Eben dieses positive Erinnern lässt mich seither zweifeln, ob mein Kraftverlust tatsächlich mit dem Verzicht auf tierisches Protein zu erklären ist. Der Gewichtsverlust ist es ganz bestimmt.

Die Erkenntnis

Ich befasste mich damals intensiv mit der Thematik Kraft- und Kampfsport und vegane Ernährung und bin bei meiner Recherche auch auf Hochleistungssportler wie Patrick Baboumian gestoßen (den ich im Übrigen sehr schätze). Daher halte ich es für sehr gut möglich Höchstleistungen zu erbringen auf Grundlage veganer Lebensmittel. Doch es widerstrebt mir gewaltige Mengen an Nahrung reinschaufeln zu müssen um bei Kräften zu bleiben. Ebenso werde ich meine Mahlzeiten nicht abwiegen und deren Nährstoffe errechnen. Somit erscheint es mir natürlicher mich an tierischen Lebensmitteln zu erfreuen und diese zu wertschätzen, statt Pflanzen als bloße Kalorienquelle einzunehmen.

Die alles entscheidende Erkenntnis bezüglich meines Kraftverlustes erlangte ich drei Jahre später. Und zwar hängt dieser weniger mit der Ernährung als vielmehr mit meiner damaligen Trainingsweise zusammen. Eingangs erwähnte ich, dass mein Beintraining durch Laufen und Radfahren geprägt war, mein Oberkörpertraining hingegen von Handakrobatik und Zugübungen. Was fehlte war eine Übung, die Unter- mit Oberkörper verband. Vor meinem Experiment war Kreuzheben die Kraftübung schlechthin für mich gewesen. Während meines Experiments hatte ich das ersatzlos gestrichen. Bewusst wurde mir dieser Faux-pas, nachdem ich mich mit dem Training der indischen Ringer auseinander zu setzen begonnen hatte. Als ich anderthalb Jahre fast nur nach deren Methoden trainiert hatte, wobei ich auf Gewichte verzichtete, zog jemand, den ich trainierte beim Kreuzheben erstmals 160kg. Ich wollte wissen, ob ich das auch noch konnte. Es war Abend, ich hatte den ganzen Tag gearbeitet, zweimal trainiert, trug Straßenkleidung und zog ohne Aufwärmen 160kg aus dem Kreuz. Die einzig logische Erklärung, dass mir das gelingen konnte, obwohl ich es fast zwei Jahre nicht trainiert hatte, war, dass ich seitdem die Ringerbrücke und deren Varianten obsessiv nutzte. Die Ringerbrücke trainiert sämtliche Muskeln, die beim Kreuzheben benötigt werden und fungiert als jene Verbundübung für Unter- und Oberkörper, die das Hüftgelenk involviert und die mir in der veganen Zeit gefehlt hat.

Ich bin der Meinung, dass unter Verwendung der Ringerbrücke ein Training ohne Gewichte ebenso möglich ist wie eine vegane Ernährung und man dadurch ein enormes Maß an Kraft aufbauen kann.

Ringerbrücke mit starker Überstreckung, sicherer ist es auf dem obeen Teil des Kopfes zu stehen
Ringerbrücke mit starker Überstreckung.  Besser ist es auf dem oberen Teil des Kopfes zu stehen und die Füße komplett aufzustellen.

Praxisteil: Ringerbrücke und Urdhva Uttanasana

Warnhinweis: Ehe man die Ringerbrücke ausführt, sollte man  die Gesundheit der Halswirbelsäule von einem Experten überprüfen lassen. Ist dies geschehen, ist eine vorsichtige Annäherung an die Übung zu empfehlen.

Ausführung: Liege auf dem Rücken und winkle die Beine an. Die Füße stehen parallel und hüftbreit. Die Fersen berühren das Gesäß. Die Knie werden nach innen gedrückt, das verleiht Stabilität in der Hüfte. Der Kopf wird nach hinten überstreckt, man blicke die hinten. Der Kiefer ist fixiert, indem die Zähne zusammengebissen werden und die Zunge gegen den Gaumen gedrückt wird. Man stelle sich auf den oberen Teil des Kopfes, wenn nötig unter Zuhilfenahme der Hände. Nun bildet man ein Dreieck aus Füßen und Kopf. Die Arme werden sodann neben den Kopf geführt, sodass die Oberarme etwa neben den Ohren gehalten werden. Die Handflächen sind einander zugewandt, der Abstand schulterbreit. Die Schulterblätter werden zur Wirbelsäule gezogen und die Ellbogen nach innen gedreht, so entsteht Spannung im Latissimus, was die Schultergelenke stabilisiert. Nun bildet der gesamte Körper eine geschlossene Kette. Er ist stabil und sicher.

Trainiert werden folgende Muskeln: Fußmuskulatur, Waden, Beinbizeps, Quadrizeps, Adduktoren, Iliopsoas, Glutaeus Maximus, Rückenstrecker, Latissimus, Trapezius (insebsodere der Pars Descendens), Sternocleidomastoideus, Rumpfmuskulatur.

Absolviert man in der Trainingsgestaltung zahlreiche Wiederholungen wird insbesondere die Nackenmuskulatur gestärkt. Doch als isometrische Übung entfaltet die Ringerbrücke erst ihr Potential als Ganzkörperkraftübung. Dazu kann man die Position entweder für einen bestimmten Zeitraum halten (Karl Gotch hat das angeblich einmal für 45 Minuten geschafft) oder man kann den Brustkorb durch einen zusätzlichen Widerstand erschweren, indem ein Trainingspartner sich darauf setzt (Karl Gotch hat zuweilen auf dem Brustkorb eines von ihm zu trainierenden Ringers die Tageszeitung gelesen).

Da die Muskeln der hinteren Muskelkette durch die Ringerbrücke unter große Spannung gesetzt werden, ist es hilfreich sie häufig zu entspannen, am besten vorher, nachher und zu beliebigen Zeitpunkten im Tagesablauf. Die effektivste Übung dazu ist das Asana ‘Stehende Vorbeuge’ (ind.: Urdhva Uttanasana). Dazu steht man zunächst kerzengerade, spannt das Gesäß an, zieht die Kniescheiben an und beugt sich dann in der Hüfte, wie bei einem Scharniergelenk, nach vorne. Zu beachten hierbei ist, dass die Lendenwirbelsäule immerzu gerade sein muss und die Kniescheiben permanent angezogen bleiben. Andernfalls erreicht man die gewollte Dehnung nicht und prophoziert obendrein Bandscheibenvorfälle. Hinzu kommt die Bedeutung des Wortes ‘Asana’, übersetzt heisst es soviel wie ‘Sitz, Position, Haltung’. Es beinhaltet jedoch, das die jeweilige Position auf angenehme Weise ausgeführt wird. Hat man Schmerzen bei einem Asana, läuft etwas falsch. Ein Ziehen in den Kniekehlen während der Stehenden Vorbeuge ist gewollt, doch weiter sollte man nicht gehen.

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